Um 1888/90 von Paul Cézanne gemalt. 1948 von Bührle gekauft, nachdem es vom Raubkunst-Händler Gottlieb Reber gepfändet wurde.
Das weltbekannte Werk Der Knabe mit der roten Weste von Paul Cézanne war für Bührle der «Stolz und Drehpunkt»1 seiner Sammlung. Entsprechend fungiert es heute nicht nur im Ausstellungsraum, sondern auch auf Plakaten, Postkarten und im Internet als Aushängeschild der Sammlung. Schliesslich möchte man Emil Georg Bührle, dem grosszügigen Mäzenen, dem Zürich diese exquisite Sammlung verdankt, alle Ehre erweisen. Das Lieblingsbild des Sammlers wird zum Liebling der Zürcher Kunstwelt, zur festen Grösse im Stadtbild: Eine Hommage, wie sie dem grossen Mann gefallen hätte. Doch wer ist dieser Mann, dem diese Stadt so untertänig huldigt? Wie finanzierte er die eigene Sammlung, mit der sich das Kunsthaus so gerne schmückt? Emil Georg Bührle war ein Nazi-Sympathisant, ein autoritärer Militarist, im günstigsten Fall ein Kriegsgewinnler – wahrscheinlich aber ein Kriegsverbrecher. Schon in jungen Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg, schloss sich Bührle einem der reaktionären Freikorps an, die sich gegen die Demokratie der Weimarer Republik stemmten. Ein prominenter Freikorps-Führer und Mörder, Waldemar Pabst, sollte später in Zürich im nächsten privaten und beruflichen Umfeld von Bührle auftauchen. Dort war er in bester Gesellschaft anderer Rechtsextremer: etwa dem aktiven Nazi-Unterstützer Eugen Bircher und dem Frontisten Emil Sonderegger. Mit Flugabwehrkanonen, die Bührle ab 1940 exklusiv den Achsenmächten lieferte, wurde Bührle zum reichsten Schweizer.2
Ausserdem profitierte er von Zwangsarbeit im In- und Ausland – mitunter auch in Konzentrationslagern.3 Wäre Bührle nicht durch seine Schweizer Staatsangehörigkeit geschützt gewesen, wäre er wohl im Rahmen der Nürnberger Prozesse neben den anderen NS-Kriegsverbrechern verurteil worden.4
Mit Blutgeld häufte Bührle also vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg eine gewaltige Sammlung an. Denn Kunst war durch die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüd*innen gerade günstig und en masse verfügbar. Seine Sammlung entstand im Wesentlichen zwischen 1936 und 1956. Der eine Teil ist Raubkunst, den Bührle nach dem Krieg zurückgeben musste und später erneut kaufte. Ein anderer Teil ist Raubkunst, der bis heute aktiv gegen Rückforderungen der Nachkommen NS-Verfolgter verteidigt wird. Die Werke sind Zeuginnen einer perfiden Rechnung: Waffen für den Krieg und die Verfolgung verkaufen, Kunstwerke aus dem Krieg und der Verfolgung aufkaufen. Während andere Länder in den letzten 80 Jahren Holocaust-Mahnmale errichteten, wurde im Kunsthaus 1958 der Bührle-Saal eingeweiht. Während andere Länder den Opfern des Zweiten Weltkriegs gedenken, bejubelt die Schweiz dessen Profiteuren. Willkommen im Kunsthaus Zürich.
Fussnoten
1. Sammlung Emil Bührle. 2. Hug 2021, o. S. 3.Hafner 2016, o. S. und Keller 2021, S.18–19.
4.Titel Thesen Temperamente 2022. Die oben stehende Formulierung bezieht sich unter anderem auf die Aussage des Schweizer Historikers Erich Keller.