Nautilusschale


Um 1660 von Willem Kalf gemalt. 1935 vom jüdischen Unternehmerpaar Jakob und Rosa Oppenheim unter Druck verkauft.




Obwohl die Herkunft der Nautilusschale von Willem Kalf für das Kunsthaus als «lückenlos erforscht»1 gilt, bedarf das Werk einer genaueren Betrachtung. Das Bild befand sich bis 1935 im Besitz der jüdisch geführten Galerie Van Diemen in Berlin, die infolge der Berufsverbote – die das NS-Regime ab 1933 verhängte –, aufgelöst wurde. Die Bestände wurden vom Auktionshaus Paul Graupe zwangsversteigert.2 Das jüdische Unternehmerpaar Jakob und Rosa Oppenheimer, die Inhaber*innen der Galerie, entkamen Ende März 1933 durch die Flucht nach Frankreich knapp ihrer Verhaftung. Während Jakob Oppenheimer 1941 in Nizza starb, wurde seine Frau nach der Niederlage Frankreichs nach Auschwitz deportiert und 1943 ermordet.3

1950 tauchte das Bild bei einem privaten Sammler in Deutschland wieder auf. Trotz der angeblich «lückenlos erforschten» Herkunft des Bildes, ist unklar, welchen Weg die Nautilusschale seit der Zwangsversteigerung 1935 zurückgelegt hat. Was bekannt ist: 1950 gelangte es vom Kunsthaus Lempertz, das nachweislich in die Versteigerung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut involviert war, über weitere private Sammlungen schliesslich in die Hände von Bührle.4

Heute ist das Bild auf der Lost Art-Datenbank als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut gemeldet.5 Die Verfasser*innen dieser Suchmeldung: Die Erbengemeinschaft Oppenheimer. Wie reagiert das Kunsthaus auf eine Suchmeldung, die bereits 2005 erfasst wurde? Laut dem Bericht zur Provenienzforschung seien bei der Nautilusschale «Fragen zur Provenienz»6 an die Stiftung Bührle gerichtet worden, worauf diese «die gewünschten Auskünfte erteilt und ihren jeweiligen Standpunkt dargelegt»7 habe. Der letzte Kontakt sei 2010 erfolgt. Welche Personen kontaktiert und welche Auskünfte gegeben wurden, darüber schweigt sich der Bericht aus.

Die Informationen, welche die Stiftung preisgibt, sind kryptisch und lassen einen an dieser angeblich lückenlosen Klarheit zweifeln. Lediglich am Standpunkt der Stiftung lässt man keinerlei Zweifel aufkommen: Der Umstand, der zu den Zwangsverkäufen führte, war nicht die Machtergreifung der Nationalsozialisten, sondern die zeitliche Überschneidung einer durch die Weltwirtschaftskrise verursachten Rezession in Deutschland.8 Das heisst so viel wie: Weitergehen, hier gibt’s nichts zu sehen.

Statt einer differenzierten Betrachtung, wird im Kunsthaus die Shoah relativiert, Verfolgung und Enteignung werden ausgeklammert. Der Fall wird als abgeschlossen erklärt.9 Entsprechend bleibt die Suchmeldung der Nautilusschale auf der Lost Art-Datenbank weiterhin bestehen. Die Haltung von Stiftung und Kunsthaus: Die NS-Verfolgten und deren Erb*innen sollen sich doch selbst um die Aufarbeitung kümmern.




Fussnoten


1. Gloor 2023, S. 18.
2.
Proveana 2022, o. S.
3. Deutsches Zentrum Kulturverluste 2013, o. S.
4.
Proveana 2023, o. S. und Tatzkow 2014, S. 92. Auf die schriftliche Nachfrage beim Kunsthaus Lempertz am 14. März 2023, um wen es sich bei den privaten Sammler*innen handle, liess das Kunsthaus verlauten, dass sie die Namen ihrer Einliefer*innen nicht offenlegen könne. Der E-Mail-Verlauf liegt vor.
5.
Lost Art-Datenbank 2005, o. S. Die Datenbank wurde vor dem Hintergrund der Washingtoner Prinzipien Anfang der Nullerjahre gegründet und wird von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste unterhalten. Die Datenbank dokumentiert Kulturgüter, die ihren Eigentümer*innen zwischen 1933 und 1945 aufgrund der NS-Verfolgung entweder nachweislich entzogen wurden oder bei denen ein solcher Entzug nicht ausgeschlossen werden kann (Lost Art-Datenbank, o. S.).
6.
Gloor 2023, S. 10.
7.
Gloor 2023, S. 10.
8.
Gloor 2023, S. 10.
9.
Die deutsche Kunsthistorikerin Silke Reuther weist auf die damaligen Umstände wie folgt hin: «Die Umstände, die zur Auflösung der Kunsthandelsfirmen von Margraf & Co. [zu der die Galerie Van Diemen gehörte] geführt haben, sind Gegenstand der Recherchen und Verhandlungen. Die zeitliche Überschneidung einer durch die Weltwirtschaftskrise verursachten Rezession in Deutschland und der Machtergreifung der Nationalsozialisten, erfordert hier eine differenzierte und sensible Betrachtung. Um die Umstände des Verlustes zu klären, müssen verfolgungsbedingte und verfolgungsunabhängige Eingriffe in die Firmenstruktur von Margraf & Co. sorgsam unterschieden werden.» (Deutsches Zentrum Kulturverluste 2013, o. S.)




Literatur

Sammlung Emil Bührle, Willem Kalf, Nautilusschale (aufgerufen am 12. Juni 2023).

Gloor 2023
Lukas Gloor, Die Provenienzforschung der Sammlung Emil Bührle, Zürich, 2002–2021, 2023 (aufgerufen am 12. Juni 2023).

Deutsches Zentrum Kulturverluste 2013
Deutsches Zentrum Kulturverluste, Provenienz Margraf & Co. (Galerie van Diemen, Altkunst, Dr. Otto Burchard), 2013 (aufgerufen am 12. Juni 2023).

Lost Art-Datenbank
Lost Art-Datenbank. Deutsches Zentrum Kulturverluste, Über die Lost Art-Datenbank (aufgerufen am 12. Juni 2023). 

Lost Art-Datenbank 2005
Lost Art-Datenbank. Deutsches Zentrum Kulturverluste, Stillleben, 2005 (aufgerufen am 12. Juni 2023). 

Proveana 2022
Proveana. Datenbank Provenienzforschung. Deutsches Zentrum Kulturverluste, Galerie van Diemen & Co., Berlin, 21. September 2022 (aufgerufen am 12. Juni 2023). 

Proveana 2023
Proveana. Datenbank Provenienzforschung. Deutsches Zentrum Kulturverluste, Kunsthaus Lempertz, 20. Februar 2023 (aufgerufen am 12. Juni 2023). 

Tatzkow 2014
Monika Tatzkow, «Walter Westfeld», in: Verlorene Bilder, verlorene Leben. Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde, hrsg. von Monika Tatzkow und Melissa Müller, 2014, S. 86–97.

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